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Zwei unglaubliche SzenenPogacar wird gedemütigt und demütigt gnadenlos zurück

24.12.2025, 06:55 Uhr
imageVon Tobias Nordmann
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Tadej Pogacar holte sich erneut den WM-Titel. (Foto: Jerome Delay/AP/dpa)

Am Radsport-Jahr von Tadej Pogačar gibt es nahezu nichts auszusetzen. Der Slowene hat fast alles gewonnen und dabei die Konkurrenz auf surreale Weise abgehängt. Aber es gab ein Rennen, da lief alles anders. Doch was dann passierte, war bemerkenswert.

Es gab in diesem Jahr einen Moment, in dem Tadej Pogačar komplett chancenlos war. Im Einzelzeitfahren der Rad-WM in Ruanda flog ihm Remco Evenepoel davon. Das Ergebnis war keine Überraschung, die Art der Überlegenheit indes schon. Über 40 Kilometer hinweg fuhr der Belgier den Slowenen in Grund und Boden, zog zwei Kilometer vor dem Ziel sogar an ihm vorbei. Beide würdigten sich keines Blickes, es gab nichts auszutauschen. Beide wussten, was der Moment für eine immense Bedeutung trug. Was für eine Demütigung. Pogacar wurde Vierter, lag aber über zweieinhalb Minuten hinter dem Sieger. "Es ist egal, wer es ist, ich wollte einfach ans Limit. Ich hatte einen richtig guten Tag", sagte Evenepoel zu seinem Manöver. Die einzige Wahrheit dürfte das aber nicht gewesen sein. Zu oft hatte ihn Pogacar abgehängt. Das war eine (kurze) Genugtuung.

Im Ziel fuhr der Slowene lächelnd am neuen alten Champion vorbei, reichte ihm voller Anerkennung die Hand. Er muss weiter auf seinen ersten Zeitfahr-Titel warten. "Ich habe alles gegeben. Natürlich bin ich enttäuscht", sagte der Superstar. Evenepoel sei "so schnell. Unfassbar. Chapeau." Pogacar hatte das aber offenbar gefallen. Bei der Tour de France hatte er sich darüber beklagt, dass seine Rivalen zu wenig Courage beim Attackieren haben. Pogacar wünscht sich den Zweikampf, der ihm so oft verwehrt bleibt. Weil er einfach viel zu gut ist. Evenepoel war im Einzelzeitfahren, seiner besten Disziplin, in einer anderen Dimension unterwegs und drehte den Spieß für exakt eine Woche um. Doch kam der Slowene zurück. Und wie.

Das völlig kranke Straßenrennen bei der WM

Im Straßenrennen packte Pogacar den Pogacar aus. Er zog aus der Demütigung eine nochmal unbändigere Kraft als er sie ohnehin schon in sich spürt. Das Gigantenduell im brutal harten Straßenrennen in den Bergen von Kigali hatte Titelverteidiger Pogacar mit einem spektakulären 66-Kilometer-Solo in eine einseitige Machtdemonstration verwandelt. Ein kraftvoller Antritt an einer steilen Stelle genügte ihm, um Doppel-Olympiasieger Evenepoel weit vor dem Ziel abzuhängen. Am Ende des 267,5 Kilometer langen und mit rund 5500 Höhenmetern äußerst anspruchsvollen Rennens betrug der Abstand 1:28 Minuten. Das Rennen war so hart, dass 135 von 165 gestarteten Fahrern nicht ins Ziel gekommen waren. Sie waren krank, erschöpft oder chancenlos gewesen.

So wie der Belgier. Und wie weh ihm diese Niederlage tat. Es war ein gebrauchter Tag für den Belgier, der immer wieder mit seinem Rad haderte, es mehrfach wechseln musste. "Beim ersten Bike-Wechsel vor dem Mount Kigali rutschte mein Sattel komplett runter. Ich habe ein Schlagloch mitgenommen und habe dann gemerkt, dass ich an meiner Oberschenkelrückseite Krämpfe bekam", sagte er später. Nochmal tauschte er die Rennmaschine. Die Bilder zeigten ihn rasend vor Wut, vor allem in dem Moment, in dem er länger auf sein Ersatzrad warten musste. Er trat mit dem Bein in die Luft. Der Ärger über alles musste raus. Im Ziel reichte es für Rang zwei. Glücklich war er trotzdem nicht. Er schüttelte den Kopf, saß lange am Boden und haderte gewaltig. "Ich bin nicht hierhergekommen, um Zweiter zu werden. Ich wollte unbedingt das Double und habe mich auch großartig gefühlt. Aber das Schicksal wollte heute etwas anderes."

Bei der EM fliegt er 75 Kilometer alleine zum Ziel

Das Schicksal hatte den Seriensieger des Jahres zum Protagonisten auserkoren. Und ihm den roten Teppich für die nächste Solofahrt ausgerollt. Wie auch ein paar Tage später, als er bei der Europameisterschaft über 75 Kilometer alleine zum Sieg flog. Im französischen Zentralmassiv hatte der Slowene den Wettkampf für große Teile des Feldes zu einer sinnlosen Angelegenheit gemacht: Nur 17 von 101 Fahrern hielten bis ins Ziel durch. Evenepoel blieb halbwegs dran, konnte aber wieder nur staunen. "Wenn man sich die Unterschiede anschaut, hat er wieder herausgeragt."

Pogacar ist für den Radsport Fluch und Segen. Segen, weil er das ganz große Spektakel liefert. Er fährt mit einem grenzenlosen Mut, einer gigantischen Überzeugung. Was für eine Heldengeschichte. Die surreale Überlegenheit macht die Sache dann aber auch zum Fluch. Wo ist das Duell? Wo sind die Kämpfe, die gerade die Rundfahrten immer so spannend gemacht haben? Und dann bleibt da natürlich der ewige Zweifel an dem Leistungs-Wahnsinn des 27-Jährigen. Geht das alles mit rechten Mitteln zu? Ist Pogacar wirklich sauber? Der lange Schatten der dreckigen Radsport-Vergangenheit stellt den guten Glauben vor eine große Challenge. Aber bisher gibt es keine konkreten Anhaltspunkte. Außer der drückenden Überlegenheit und pulverisierten Rekorden aus der Hochdopingzeit.

Auf dem Weg zur Unsterblichkeit?

2025 war bisher das erfolgreichste Jahr für Pogacar. Der Slowene gewann 20 Rennen, doch satt ist er längst nicht. Für das neue Jahr hat er bereits große Ziele ausgerufen, die fokussieren sich nicht auf die Tour de France. Er peilt vor allem Premierensiege bei den Klassikern Mailand–Sanremo und Paris–Roubaix an: "Wenn ich zwischen einem Sieg in Roubaix und bei der Tour wählen könnte, würde ich Roubaix nehmen, denn die Tour habe ich schon viermal gewonnen", sagte Pogacar. "Der Unterschied zwischen 0 und 1 ist größer als zwischen 4 und 5."

Paris–Roubaix und Mailand–Sanremo sind die beiden letzten "Monumente des Radsports", die der Slowene noch nicht gewonnen hat - bei der Flandern-Rundfahrt, Lüttich-Bastogne-Lüttich und der Lombardei-Rundfahrt stand er schon mehrfach ganz oben auf dem Podest. Allerdings winkt dem Star vom UAE Team Emirates-XRG auch bei der Tour im Sommer 2026 Historisches: Mit einem fünften Triumph würde er den Rekord von Eddy Merckx, Bernard Hinault, Miguel Indurain und Jacques Anquetil einstellen.

Quelle: ntv.de

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